Hamburg, 19.02.2005 - Greenpeace bezeichnet das Verschwinden von 30 Kilogramm Plutonium aus der Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield als Skandal. Der gestern bekannt gewordene Plutoniumschwund ist aber kein Einzelfall. "So etwas passiert in Wiederaufarbeitungsanlagen häufig", so Greenpeace-Atomexperte Thomas Breuer.
Zum Beispiel verschwanden 1991 in Karlsruhe 37 Atombrennstäbe mit über 50 Kilogramm Natururan in der Versuchswiederaufarbeitungsanlage. 1994 fehlten in Tokai (Japan) bei der Inventur in einer Fabrik zur Herstellung von Mox-Brennstäben 70 Kilogramm Plutonium. Und in Cadarache (Frankreich) stellen Euratom-Inspektoren 2002 in der Cogema Mox-Anlage einen "nicht akzeptablen Schwund" an Plutonium fest. Die genaue Menge wurde nicht veröffentlicht.
Gestern nun meldete die UK Atomic Energy Authority (UKAEA), dass in der Wiederaufarbeitungsanlage in Sellafield 30 Kilogramm Plutonium als "fehlend" klassifiziert wurden, eine Menge, die für den Bau von fünf bis sechs Atombomben reicht. Dies geht aus einem Prüfbericht über den dort aufbereiteten nuklearen Brennstoff hervor. Das Industrieministerium und die Betreiber der größten britischen Atomanlage betonten jedoch, der Bericht führe kein tatsächlich verlorenes Material auf. Das Material sei "rein rechnerisch" verschwunden. "Es handelt sich um einen Bilanzierungsprozess", teilte das Ministerium mit. Nach den Angaben fehlten "auf dem Papier" im vergangenen Jahr bereits 19 Kilogramm Plutonium.
"Die Ungenauigkeit liegt im System", erklärt Thomas Breuer. Der Gehalt an Plutonium in abgebrannten Brennstäben kann nur ungefähr berechnet werden. Erst am Ende des Wiederaufarbeitungsprozesses kann die tatsächliche Menge Plutonium gemessen werden. Der Unterschied zwischen berechnetem spaltbaren Material (zum Beispiel Plutonium oder Uran) und gemessenem spaltbaren Material in einer Atomanlage heißt MUF (material unaccounted for).
Die IAEO (Internationale Atomenergie Organisation) sieht erst ab acht Kilogramm "verschwundenem" beziehungsweise nicht erfasstem Material - einer sogenannten signifikanten Menge - ein Problem. Allerdings akzeptiert die IAEO gleichzeitig drei Prozent der jährlich verarbeiteten Menge -beispielsweise an Plutonium - in einer Atomanlage als Differenz zwischen kalkulierter und gezählter Menge des jeweiligen Materials. Das wird immer da zum Problem, wo jährlich große Mengen Plutonium verarbeitet werden.
Insgesamt können die Wiederaufarbeitungsanlagen La Hague und Sellafield bei Vollauslastung jährlich bis zu 43.000 Kilogramm Plutonium durchlaufen. Tolerierbar wäre nach IAEO-Kriterien, wenn die Anlagenbetreiber den Verbleib von 1290 Kilo Plutonium nicht erklären könnten. Dies wäre genug Plutonium für über 200 Atombomben.
"Plutonium ist einer der gefährlichsten Stoffe dieser Erde. Es ist absolut nicht tolerierbar, dass bei der Wiederaufbereitung von Atombrennstoff kein Mensch sagen kann, ob Plutonium verschwindet oder nicht, weil das System die Mengen nicht genau erfassen kann", so Breuer. Abgesehen von der radioaktiven Verseuchung der Umwelt sei das ein Grund, den Wiederaufbereitungsanlagen den Betrieb zu verbieten. "Was wäre, wenn Staaten wie der Iran oder Nordkorea nicht in der Lage wären, über den Verbleib von 30 Kilogramm Plutonium Auskunft zu geben?" fragt Breuer und meint weiter: "Die Gefahr der Proliferation besteht auch in Großbritannien oder Frankreich." Greenpeace fordert einen sofortigen Stopp der Wiederaufarbeitung weltweit.
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